MDR-ready in letzter Minute: Tipps für Nachzügler

05.04.2021
Es gibt Hersteller, die noch nichts in Sachen MDR unternommen haben. In diesem Fall empfehlen wir Speed-Dating mit einem unverbesserlichen Optimisten: Stefan Kemmann, Expert Technical Documentation & Regulatory Affairs, verrät, wie Sie das Ruder noch rumreißen können.

Eigentlich ist alles klar: Die MDR kommt, der Stichtag (Geltungsbeginn) nach Verschiebung ist der 26. Mai 2021. Es wurde an vielen Stellen darauf hingewiesen, wie die Vorbereitungen der Hersteller dazu erfolgen sollten: Portfolio screenen, Arbeitsgruppen bilden, Produkte für einen Pionier-Lauf identifizieren usw. Manche Hersteller haben früh reagiert, Projekte oder ganze Abteilungen ins Leben gerufen und sind mittlerweile im Besitz der ersten MDR-Zertifikate.

Sollte es dennoch Hersteller geben, an denen die MDR bisher spurlos vorübergegangen ist? Medizintechnikunternehmen, RA-Abteilungen oder Lieferanten, die sich angesichts der vielen neuen und geänderten Regelungen in Schockstarre befinden und einfach nicht ins Handeln kommen? Möglich ist alles. Deshalb wollen wir mit diesem Artikel dem Gefühl der Überforderung entgegenwirken und dabei helfen, Entscheidungen und Aktivitäten so zu priorisieren, dass das Nötigste noch erledigt werden kann.

Als allererstes sollten Sie sich die Übergangsbestimmungen in Artikel 120 anschauen. Wenn es gut läuft, haben Sie noch ein MDD-Zertifikat mit einer recht ordentlichen Geltungsdauer. Aber Vorsicht, einige MDR-Anforderungen müssen Sie auch für „MDD-Produkte“ schon ab dem Stichtag anwenden. Diese sind im Wesentlichen:
  • Überwachung nach dem Inverkehrbringen (Artikel 83-86),
  • Vigilanz (Artikel 87-92),
  • die Registrierung von Wirtschaftsakteuren (Artikel 31) und Produkten (Artikel 29).

Wenn Sie die Laufzeit der „MDD-Produkte“ fest im Blick haben oder gar nicht erst in den Genuss der Übergangsregelungen kommen, gehen Sie wie folgt vor:

Nehmen Sie sich Ihre Produktpalette vor und prüfen Sie, ob Sie das ein oder andere Produkt auslaufen lassen können. Für die übrigen müssen Sie die Risikoklasse nach den MDR-Regeln (Anhang VIII) überprüfen. Neben den für Klasse I bekannten Merkmalen „Messfunktion“ und „steril“, die unter MDD zur Einbeziehung der Benannten Stelle führten, kommt mit der MDR nun noch die Gruppe der wiederverwendbaren chirurgischen Instrumente hinzu.

Spätestens jetzt wäre der Zeitpunkt, sich an Ihre Benannte Stelle zu wenden. Hoffentlich ist die schon in der Nando Datenbank unter Regulation (EU) 2017/745 aufgelistet. Wenn Sie also ins Gespräch mit Ihrer Benannten Stelle gehen, halten Sie Ihre Produktliste mit den geprüften Risikoklassen parat. Es wäre auch von Vorteil, wenn Sie die Produktgruppen (nach denen sich das Sampling richtet) vorher noch kritisch durchsehen und ggf. neu organisieren. Sprechen Sie mit der Benannten Stelle über das weitere Vorgehen und über die Technische Dokumentation, die Sie als erstes einreichen sollen.

Technische Dokumentation

Der größte Unterschied zwischen einer Technischen Dokumentation nach MDD zu MDR sind die Anhänge II und III. Sie geben die Inhalte recht klar vor, überlassen die Strukturierung aber dem Hersteller. Gleichwohl gilt hier wie auch an anderen Stellen: Je näher Sie sich gleich am Anfang an die Begriffe und Struktur der Anhänge anlehnen, desto einfacher wird sich der Review der Benannten Stelle gestalten. Sie sollten bspw. eine Produktbeschreibung aufsetzen, die mit den Überschriften des Anhang II aufwartet und die Inhalte entweder direkt aufführt oder referenziert.

Die MDR verlangt zudem, dass Ihre Technische Dokumentation „in klarer, organisierter, leicht durchsuchbarer und eindeutiger Form“ dargestellt wird. Falls Sie sich unsicher über die Erfüllung dieser Anforderung sind, suchen Sie sich jemanden, dem Sie Ihre Struktur und „Navigation“ innerhalb der Technischen Dokumentation vorstellen. Ist alles verständlich und gut zu finden?

Sie sollten sich auch die „grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen“ nach Anhang I vornehmen. Im Vergleich zur MDD sind es deutlich mehr, und einige Anforderungen könnten Ihr Design, die Benutzerinformationen oder Herstellungsprozesse beeinflussen.

Vergessen Sie vor dem Einreichen nicht den Draft der Konformitätserklärung nach Anhang VI.

UDI

Parallel zur Aufbereitung der ersten Technischen Dokumentation sollten Sie eine der in Artikel 120 Absatz 12 genannten Zuteilungsorganisationen für Ihre UDI konsultieren. Der zugeteilte Nummernkreis der Basic UDI-DIs sollte der Anzahl Ihrer Produktgruppen entsprechen. Überlegen Sie sich auch bald, wie und wo Sie die UDI auf Ihr Produkt aufbringen.

Klinische Bewertung/klinische Daten (Artikel 61 ff)

Falls Sie Ihre Klinischen Bewertungen bereits sehr eng anlehnend an MEDDEV 2.7/1 rev.4 vorliegen haben, sind Sie auf einem guten Weg. Wichtig ist aber, dass Sie, falls Sie in Ihrer Klinischen Bewertung die Äquivalenz zu anderen auf dem Markt verfügbaren Produkten bemühen, unbedingt die „Erlaubnis“ der MDR zu dem Fortfahren auf diesem Weg prüfen. Schauen Sie dazu in Artikel 61 Absätze 3-7 und Anhang XIV Teil A, Absatz 3. Denn andernfalls müssen Sie mit Hochdruck an der Generierung eigener klinischer Daten arbeiten. Diese müssen jede Indikation, Patientengruppe und Produktvariante abdecken, sowie sämtliche Leistungs- und Sicherheitsmerkmale und Werbeversprechen belegen.

Wenn Sie Ihr Produkt nach dem Stichtag noch als „MDD-Produkt“ in Verkehr bringen können, sollten Sie über eine für die fehlenden Daten zugeschnittene PMCF-Studie nachdenken.

Darüber hinaus müssen Ihre MDR-konformen Klinischen Bewertungen jeweils auch die Ableitung eines Plans zur klinischen Nachbeobachtung des Produkts erlauben. Die klinische Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen ist laut MDR „als ein fortlaufender Prozess zur Aktualisierung der klinischen Bewertung […] zu verstehen und wird im Plan des Herstellers zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen behandelt.“

Wenn Sie bis zum Review der ersten Klinischen Bewertung dann noch etwas Zeit haben, versuchen Sie, Plan und Bericht möglichst mit den Begriffen und inhaltlichen Reihenfolgen der MDR-Artikel und -Anhänge abzugleichen, da sich die Benannten Stellen in ihrem Review sehr nah daran orientieren.

Überwachung nach dem Inverkehrbringen („PMS“) (Artikel 83-86)

Wie schon weiter oben erwähnt treffen Sie die PMS-Anforderungen auf jeden Fall ab dem Stichtag. Sie werden ein PMS-System integrieren oder modifizieren müssen, in das die MDR-Anforderungen sauber eingearbeitet sind. Jedes nach dem Stichtag in Verkehr gebrachte Produkt muss von einem PMS-Plan abgedeckt sein. Bei dessen Erstellung sollten Sie neben der Einarbeitung der ausführlich formulierten Anforderungen (siehe Anhang III) auch einen kritischen Blick auf die Eignung von Methoden und Frequenzen der PMS-Aktivitäten werfen. Vergessen Sie auch nicht, die öffentlich zugängliche Information von ähnlichen Medizinprodukten abzufragen.

QM-System

In die QM-Dokumentation sind die neuen regulatorischen Anforderungen des Artikels 10 der MDR einzupflegen. Wenn Sie als Grundlage die Anforderungen der EN ISO 13485:2016 bereits erfüllen, müssen Sie nur wenige Prozesse neu integrieren und Schnittstellen zu bereits vorhandenen Prozessen schaffen. Dazu gehört insbesondere,
  • dass Sie eine Verantwortliche Person für Regulierungsvorschriften nach Artikel 15 benennen und diese in Ihre Prozesse einbinden. Für Klein- und Kleinstunternehmen gibt es eine Befreiung von der Pflicht, in ihrer Organisation ständig eine für die Einhaltung der Regulierungsvorschriften verantwortliche Person zur Verfügung zu haben. Dazu zählen Hersteller mit weniger als 50 Mitarbeitern und einer Jahresbilanz von max. 10 Mio. EUR.
  • dass Sie ein (ggf. integriertes) Verfahren für PMS (s. o.) abbilden,
  • dass Sie die prozesstechnischen Anforderungen an die Klinische Bewertung einschließlich der klinischen Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen beschreiben und
  • dass Sie die Überprüfung der Zuteilung der UDI durchführen bzw. UDI insgesamt einführen.

Zusammenfassung

Folgendes gilt es vorrangig zu erledigen:
  1. die Übergangsfristen der „MDD-Produkte“ zu prüfen,
  2. das Portfolio zu klassifizieren und die Produktliste mit Ihrer Benannten Stelle zu besprechen,
  3. die erste Technische Dokumentation zu überarbeiten,
  4. die Nummernkreise für Ihre UDI zu besorgen,
  5. schnell herauszufinden, ob Sie neue klinische Daten generieren müssen, und die Klinische Bewertung anzupassen,
  6. Ihr PMS-System und QM-System zu überarbeiten mit den wichtigsten Neuerungen.

Was über diese Themen hinausgeht, notieren Sie für später. Aber lassen Sie sich nicht aus dem Konzept bringen. Und wenn Sie trotzdem noch schwimmen, holen Sie sich professionelle Hilfe. Sie können in den verbleibenden Wochen bis zum Stichtag noch eine ganze Menge schaffen!

Wir wünschen Ihnen dabei viel Erfolg.

Beste Grüße
Stefan Kemmann

Expert Regulatory Affairs
& Technical Documentation

Telefon    +49 621 123469-048
E-Mail stefan.kemmann@metecon.de

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